Dushan-Wegner

06.04.2022

Im Staatsfunk spricht ein Mädchen vom Krieg

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Angela Compagnone
Wenn du dachtest, der Staatsfunk könne kaum tiefer sinken, lässt man eine 12-Jährige den Krieg »kommentieren«. Bei Propaganda-Allergikern setzt gewisser Juckreiz ein.
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Ich habe Ärzte getroffen, die Kette rauchten, oder andere Gewohnheiten pflegten, von denen Ärzte – inklusive ihrer selbst – den Menschen doch abraten sollten.

Ich habe auch von Anwälten gehört, die selbst in rechtliche Bredouille gerieten. Und es soll nicht nur bei »Two and a Half Men« (Staffel 2, Folge 14) passiert sein, dass Buchhalter ihre eigenen Bücher nicht ordentlich genug führten.

Menschen, die sich nicht an die Standards halten, die sie selbst beharrlich predigen – es soll sogar in den besten Essayisten-Kreisen vorkommen.

Ein Teil meiner selbst-gegebenen Aufgabenstellung liegt darin, den Großen und Ach-so-Guten ihre Heuchelei und Widersprüche vorzuhalten. Umso erschrockener war ich, als ein Leser mir sagte:

Was mich wirklich verwundert sind Köpfe wie Sie, die nach Irak, Libyen, Vietnam, Syrien, Jugoslawien pp immer noch nicht kritisch werden, was das Mediale Politikkartell um Bucha herum produziert. Das meine ich nicht mal böse, ich bin ehrlich erstaunt. (@AnurChrik, 5.4.2022)

Jener Leser antwortete auf einen kurzen Kommentar von mir, wo ich darauf hinwies, dass das Wort »mutmaßlich« vor »Kriegsverbrechen« in Bezug auf bestimmte Bilder aus der Ukraine, wie der Staatsfunk es zu verwenden pflegt, den rhetorischen Raum schafft, innerhalb dessen zum Beispiel Russland beliebigen Zweifel an der Urheberschaft säen kann.

Ans Fundament

Ich hatte eine Anmerkung zur Funktion von Sprache angeboten, doch es wurde mir als Leichtgläubigkeit angekreidet. Solche Kritik greift direkt das Fundament meines Selbstbildes an, also war ich so dankbar wie erschrocken.

Anfang März 2022 hatte ich selbst ja notiert (Essay vom 1.3.2022), dass in Europa gleich zu Beginn des Ukraine-Krieges die EU, YouTube und andere lupenrein demokratische Institutionen eine Zensur-Glasglocke über das Internet verhängten, ähnlich der Zensur rund um die Covid-Panik. Jede Abweichung vom »Zelensky-ist-ein-strahlender-Held-und-alles-was-Ukraine-sagt-ist-wahr«-Narrativ sollte unmöglich werden – oder zumindest unhörbar.

Alarmglocke genug

Bin ich nun selbst in die Falle getappt, Prinzipien zwar hochzuhalten, sie aber selbst nicht zu befolgen? – Ich habe gewisse Zweifel, ob die Kritik jenes Lesers im konkreten Fall greift, doch allein dass er meint, dass sie greifen würde, ist mir Warnhinweis und Alarmglocke genug.

Bin ich wie die Gutmenschen? Bin ich jemand, der das eine fordert, doch dann das andere praktiziert? Einer, der »prüfe alles!« sagt, aber dann doch zu wenig prüft, zu faul ist, sich geistig in der Hängematte vorgefertigter Wahrheit zum Schlafen legt?

Wenn es Ärzte gibt, die rauchen, dann könnte es auch Essayisten geben, die immerzu vor Propaganda warnen, und dann selbst darauf hereinfallen.

Ein weiterer Leser schreibt:

Brutkastenlüge
WMDs im Irak
Saddams Giftbomben
Taliban verstecken Osama bin Laden
Golf von Tonkin

Soll ich weitermachen?
(@sI420, 5.4.2022)

Ich habe ja sogar etwas über die Brutkastenlüge geschrieben. Ich erwähne sie als Anschauungsbeispiel, zum Beispiel im Essay »Verschwörungstheorien und Kompromat« vom 18.5.2019. – In diesem Essay geht es übrigens auch um einen gewissen Herrn Steinmeier, welcher damals »zum Kampf gegen Verschwörungstheorien« aufrief.

Wir wissen ja, dass »Verschwörungstheorie« der Propaganda-Ausdruck für »störende Wahrheit« oder »unangenehme Schlussfolgerung« ist. Aktuell gibt Steinmeier sich ganz zerknirscht ob der »Fehleinschätzungen«, denen er – und »andere auch« – unterlagen (tagesspiegel.de, 5.4.2022).

Ach, anders als »normale Menschen«, tragen Politiker keine Konsequenzen für ihre »Fehleinschätzungen«. Politiker werden öfter für die Wahrheit als für die Lüge bestraft.

Ähnlich wie bei der Corona-Panik erlebe ich auch in Sachen Ukraine zwei einander unzweideutig widersprechende Gruppen – und in beiden finden sich ernstzunehmende, ernsthafte Menschen – allerdings wirft man sich gegenseitig vor, der Propaganda dieser oder jener Akteure auf den Leim gegangen zu sein.

Heftiger Juckreiz

Im Essay »Junge Mädchen und alte Kultisten – Greta und ihre Vorgängerinnen« vom 24.9.2019 dokumentierte ich die so schmierige wie wirksame Praxis der Propaganda, politische Ziele mit dem Charme junger Mädchen erreichen zu wollen. Spätestens wenn kleine Mädchen im TV emotional politisch-moralische Positionen vortragen, setzt bei Propaganda-Allergikern heftiger Juckreiz ein.

Am 5.4.2022 dann belegte der deutsche Staatsfunk, dass er immer noch tiefer sinken kann, als du ihm gestern noch zugetraut hättest. In den »Tagesthemen« lässt man ein 12-jähriges Mädchen namens »Ella« einen pseudo-kindlichen Text aufsagen, den ihr wahrscheinlich irgendwelche schmierigen Spindoktoren aufgeschrieben hatten.

Zitat aus dem angeblich von ihr selbst verfassten Text: »Was stimmt nicht mit Leuten wie Putin? Wie egal können einem Menschen sein? Werden Verträge wie die Kinderrechtskonvention nicht gemacht und unterschrieben, damit man sich daran hält?« (tagesschau.de, 5.4.2022)

Wenn irgendwelche Mächte, ähnlich wie bei der Brutkastenlüge, einen Kriegseintritt vorbereiten wollten, inwiefern würde es anders aussehen?

(Notiz: Pauline Schwarz erklärt bei tichyseinblick.de, 6.4.2022, warum die von dem Mädchen eingeflochtene Forderung nach »Kinderrechten« im Grundgesetz tatsächlich die Instrumentalisierung des Krieges ist, um Eltern bisherige Kompetenzen zu entziehen und an den Staat zu übertragen. Vergessen wir nicht: Es war Olaf Scholz, der die »Lufthoheit über den Kinderbetten« anstrebte, wie ich etwa im Essay vom 28.12.2019 notiere.)

Als Default

Fakt ist, dass Nationen, welche von Russland besetzt waren und Russland kennen, auch Putins Armee so einiges zutrauen. Fakt bleibt aber auch, dass der sogenannte »Westen« es immer und immer wieder praktizierte, seine Kriege mit großen, derben Lügen zu begründen. Ich erinnere mich noch an die Demonstrationen gegen den zweiten Golfkrieg – »Kein Blut für Öl!« – ich erinnere mich an die hilflose Ohnmacht der Demonstranten, die ihren Mitmenschen zuriefen: »Seht ihr denn die Lügen nicht, mit denen sie ihren Krieg begründen?!«

Ich gehe auch weiterhin davon aus, dass Putins Armee in der Ukraine brutale Dinge anstellt – schlicht schon deshalb, weil ich es der russischen Armee zutraue. Zugleich weiß ich aber, dass viele unserer Berichte dazu von westlichen Journalisten stammen, und ich diesen Leuten aus Erfahrung nicht traue.

Ich traue deutschen Journalisten nicht nur Lügen zu – ich gehe als Default davon aus, dass für deutsche Journalisten die Wahrheit kein Wert-an-sich ist. Journalisten werden sagen, was sie sagen sollen – Wahrheit ist zufällig, ähnlich etwa wie Vitamine, die sich ins Fastfood verirren sollten.

Im Propagandastaat bleibt den Bürgern wenig anderes übrig, als zu versuchen, die Wahrheit aus dem Strom der Propaganda herauszufischen. Und dabei kann es passieren, dass man falsch filtert, und dann sitzt man echter Propaganda auf. So sehr wir uns bemühen, wir werden uns bei Gelegenheit irren, wir werden immer wieder falsch liegen. Ein Zyniker könnte sagen: Belügen wir uns nicht – überlassen wir das auch weiterhin den Journalisten.

»Was sie euch sagen…«

Bin ich ein Pharisäer? Predige ich »Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst«, prüfe aber tatsächlich zu wenig? – Falls ja, liebe Leser, wird mir wenig anderes übrig bleiben, als Sie an Jesus zu verweisen, welcher in Matthäus 23, Vers 3 über die Pharisäer sprach und das Volk anwies: »Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln; denn sie sagen’s zwar, tun’s aber nicht.«

Wenn ein Mathematiker sich mal verrechnen sollte, dann wird dadurch die Mathematik selbst nicht ungültig!

Bin ich auf Propaganda hereingefallen? Ach, ich werde nicht argumentieren. Ich gehe davon aus, dass schreckliche Dinge passieren, doch spätestens als sie ein Mädchen mit einem auffällig glatten Script im Staatsfunk den Krieg »kommentieren« ließen, meldete sich meine Propaganda-Allergie, und meine Propaganda-Allergie ist zu schmerzhaft, als dass ich sie ignorieren könnte.

Es gilt, gerade heute: Prüfe alles (und bis du es geprüft hast, betrachte es als »vorläufig« – und nach der Prüfung eigentlich auch). Glaube wenig (und mir glaube nur, dass du wenig glauben sollst). Und, vor allem, mehr denn je und was es auch kosten mag: Denke selbst!

Weiterschreiben, Wegner!

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